Moderne Männlichkeit

Das Patriarchat verstehen

Was bedeutet moderne Männlichkeit? Ich habe mich schon lange mit der Frage befasst, was es heutzutage bedeuten kann ein Mann zu sein. Nachdem mir vor ein paar Wochen das Buch „Jungs wir schaffen das“ von Markus Theunert – einem Männerforscher – in die Hände gefallen ist, habe ich mich nochmal mehr damit auseinandergesetzt. Gleich vorneweg: an feministischen Strömungen hat mich immer der erhobene Zeigefinger gestört: „Ihr privilegierten Männer müsst…“. Das hat mich gleich in eine Abwehrhaltung versetzt und mich emotional alles andere als abgeholt. Was mir durch das obige Buch nochmal klarer geworden ist, ist was Patriarchat eigentlich bedeutet:

Unter Patriarchat kann man die Herrschaft des männlich geprägten Leitprinzips verstehen, welches die Ausbeutung seiner Selbst, die Ausbeutung Anderer und die Ausbeutung der natürlichen Lebensgrundlagen als alternativlos bzw. normal darstellt. (Markus Theunert)

Unter diesem Gesichtspunkt können selbstverständlich auch Männer darunter leiden. Ich denke es ist momentan so offensichtlich wie lange nicht mehr, dass wir als Gesellschaft manche Menschen nicht mehr abholen und sie an radikale politische Kräfte verlieren. Wenn Menschen sich als Verlierer des Ausbeutungskampfes sehen, sehnen sie sich nach Stärke und Sicherheit. Doch wenn unsere ganze Weltordnung auf einer Ideologie aufbaut, die den Wettbewerb predigt, wird es immer Gewinner und Verlierer geben. Wird es immer auch Wut und Hass von denjenigen geben, die das Gefühl haben, zu kurz zu kommen. Immerhin wurde ihnen doch versprochen, dass es ihnen mal besser gehen würde als ihren Eltern. Ihnen wurde versprochen, dass der Wohlstand immer weiter wächst. Dass wir immer reicher werden, immer mehr konsumieren können und dadurch immer glücklicher werden.

Ich denke unsere Gesellschaft muss lernen aus dieser eindimensionalen Logik auszubrechen. Wer sich den starken Führer wünscht, muss dann aber auch sein Leben an der Front opfern wollen, um andere Menschen zu töten. Die gierigen, größenwahnsinnigen Männer (und teilweise auch Frauen), die verloren im Wettbewerbsdenken ständig nur das Maximum für sich rausholen wollen, widern mich an. Sie haben vollkommen das Mitgefühl und die Menschlichkeit verloren. Begraben unter Ängsten zu kurz zu kommen und nicht geliebt zu werden, tragen sie Minderwertigkeitsgefühle und Hass in die Welt.

Und was bedeutet überhaupt diese „Stärke“. Mir kommt es vor, als wäre es ein taubes Beharren auf den eigenen Vorstellungen ohne jedwede Bereitschaft für Kompromisse. Wer denkt, Demokratie funktioniert ohne Kompromisse ist auf dem Holzweg. Und wer denkt ein Autokrat, kann ein Land besser führen, als ein Demokrat, hat kein Herz für die Minderheiten.

Irrweg Wettbewerbsdenken

Ich bin selbst in starkem Wettbewerbsdenken aufgewachsen. Ich wollte immer der Beste sein, in dem was ich getan habe. In der Schule und der Uni hat das sogar ganz gut funktioniert. Auch im Sport habe ich immer wieder Erfolge mit dieser Einstellung gefeiert. Ich war immer getrieben, die Augen immer auf das nächste Ziel gerichtet. Wenn ich nur genug leiste, werde ich irgendwann ankommen und endlich die Anerkennung bekommen die ich verdiene (Das könnte auch der Slogan der FDP sein :D). Beim BASE Jumpen ist mir dann irgendwann aufgefallen, dass ich mit dieser Logik an meine Grenzen stoße. Will ich der coolste, beste, extremste, mutigste BASE Jumper sein, muss ich eng an Sachen vorbeifliegen, durch Löcher fliegen usw. Dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis ich sterbe.

Vielleicht war es also tatsächlich an der Zeit, dieses tiefsitzende Leistungsprinzip zu hinterfragen. An den Grundfesten meiner psychischen Ausrichtung zu rütteln. Das war destabilisierend und keine leichte Zeit in meinem Leben. Habe ich mein ganzes Leben falsch gelebt? Habe ich etwa den Fokus auf etwas gelegt, was gar nicht von Bedeutung ist? Habe ich jahrelang nach Liebe gesucht, aber schlichtweg an der falschen Stelle? Habe ich in der Wüste nach Wasser gegraben, während ich viel eher in die Berge zur Quelle hätte gehen müssen? Mir diesen Irrtum zu verzeihen hat gedauert. Hat Nerven gekostet und war gleichzeitig die größte Befreiung meines Lebens. Ich bin mit Sicherheit noch nicht an der Quelle angekommen, aber ich übe mich darin, mich nicht immer wieder in der Wüste zu verrennen. Ich werde die Wettbewerbslogik nicht aus meinem Kopf verbannen können. Und das muss ich auch nicht. Aber ich kann lernen einen gesunden Umgang damit zu entwickeln. Raus aus einem Konkurrenzdenken und hin zu einem Miteinander.

Vom Konkurrenzdenken zum Miteinander

Bin ich besser in etwas als andere? Dann sollte ich mir den Mut fassen, mein Wissen und meine Fähigkeiten mit ihnen zu teilen. Viel zu oft bin ich feige geblieben. Teilweise habe ich meine Meinung nicht gesagt und es den lauteren und rücksichtsloseren Menschen überlassen den Diskurs zu bestimmen. Oder ich habe mir gedacht, ich muss erst noch besser werden, bis ich es wirklich kann, bis meine Fähigkeiten es wirklich wert sind, weitergegeben zu werden. Ich hatte Angst zu Scheitern und noch nicht gut genug zu sein. Außerdem wollte ich schlichtweg manchmal nicht teilen. Ich war geizig. Schließlich würde das vielleicht meinen Vorsprung schmälern beim Sprint in die Ruhmeshalle. Wenn ich anderen Jonglieren beibringe, kann ich schließlich nicht selbst trainieren. Mich nicht selbst optimieren. Und was passiert, wenn ich dann der weltbeste Jongleur bin? Ich muss Angst haben, dass mich bald ein anderer überholt…

Bin ich schlechter in etwas als andere, kann ich um Hilfe fragen! Zu oft habe ich durch meinen Instagram Feed gescrollt und war danach richtig schlecht gelaunt, ohne so richtig zu wissen warum. Mittlerweile denke ich: meistens war ich neidisch. Neidisch auf die Leute, die ein so tolles Leben leben, neidisch auf Leute, die meine Träume leben. Und ich hätte das eigentlich auch verdient, vielleicht sogar noch mehr als sie! Am Ende versinke ich im Selbstmitleid und suhle mich in meinem Minderwertigkeitsgefühl. Das mache ich natürlich alleine und möglichst niemand soll davon erfahren. Schließlich wäre das nicht sehr männlich, cool und attraktiv. Ich möchte in Zukunft früher bemerken, wenn ich dem Neid verfalle und mich fragen: Wieso bin ich neidisch? Was kann ich von dieser Person lernen? Vielleicht kann sie mir sogar helfen zu meinem Glück zu finden!

Wie ihr seht ist zumindest in meinem Leben das hierarchische Machtdenken noch tief verankert. Ich vergleiche mich mit anderen und bewerte, ob ich besser oder schlechter bin als sie. Bin ich besser, fühle ich mich erhaben (zumindest zwischenzeitlich), bin ich schlechter, fühle ich mich als Versager. Der Narzisst in mir war nicht gut darauf vorbereitet sich Niederlagen in seinem Leben einzugestehen. Ich hatte lieber Recht und war stur, als von meinem Standpunkt abzuweichen. Doch diese Art der Stärke kann einen auch zielsicher in Abgrund steuern. Mit aufgeblasenem Ego mit dem Wingsuit in die Felswand ballern. Glückwunsch!

Ideen moderner Männlichkeit

Wie also kann ein moderner Mann aussehen? Ich will nicht mehr gierig nach immer mehr streben, maßlos, ohne Rücksicht auf Andere. Ich will weder meine Mitmenschen noch meine Umwelt ausbeuten im ewigen Wettstreit und Größenwahn. Ich möchte auch nicht mehr mich selbst ausbeuten! Ich möchte mich um mich sorgen. Mir Ruhe gönnen, wenn ich Ruhe brauche, mich mobilisieren, wenn ich verwahrlose. Ich will nicht blind irgendwelchen fremd gesetzten Zielen hinterher hetzen, in der Hoffnung auf Anerkennung. Ich will nicht aus blindem Pflichtbewusstsein tun, was man mir sagt, sondern von Innen heraus spüren lernen, was ich wirklich mit gutem Gewissen will und für richtig halte. Ich will meine Gefühle nicht mehr verstecken und sie auch nicht mehr betäuben müssen, z.B. mit Alkohol, oder mich von ihnen ablenken mit anderen Süchten. Ich will mich von ihnen leiten lassen und auch meine Wut als Kompass für meine eigenen Grenzen nutzen lernen. Ich will die ganze Gefühlspalette an mich heran lassen. Ich will auch lernen, all jene Gefühle zu kommunizieren und damit begünstigen, tiefgreifende, stabile Verbindungen mit anderen Menschen einzugehen.

Dabei muss ich nicht alles Alte von mir abstreifen und für falsch erklären. Ich kann weiter meinen Hobbies nachgehen, wenn sie mich glücklich machen und dabei ein wachsames Auge darauf werfen, ob ich Dinge aus einem Zwang heraus verfolge oder aus freien Zügen. Ich muss meine Stärken nicht über Bord werfen, vielleicht kann ich sie sogar in einem anderen Kontext neu entdecken.

Mut zur Veränderung

Ich möchte in Zukunft mehr meiner Zeit dahin lenken, wo Menschen Hilfe benötigen. Denn mein Glück muss ich nicht weiter maximieren, das funktioniert ohnehin nicht. Ich möchte lieber sehen, wie ich mit meiner Lebenserfahrung anderen helfen kann, zu einem liebevolleren Miteinander zu finden. Ich möchte Teil der Lösung sein und nicht Teil des Problems. Ich möchte dazu beitragen Menschen zu helfen, erstrebenswerte Bewusstseinszustände zu erforschen, Gefühle zu kultivieren, die ein Miteinander nähren, anstatt den Hass gegeneinander zu schüren. Dafür müssen viele verdrängte Emotionen gefühlt und akzeptiert werden. Das ist anstrengend und braucht viel Mut. Es bedeutet nämlich die Kontrolle abzugeben und sich ins Unbekannte zu werfen, ohne zu wissen, wohin der Weg führen wird. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass darin die Lösung vieler Probleme liegt.

Also lasst uns gemeinsam neugierig sein! Lasst uns, auch als Männer, unsere Schwäche erforschen und damit eine Qualität der Verbundenheit erfahren, die uns bis dato gar nicht möglich schien. Lasst uns hoffnungsvoll in die Zukunft blicken, trotz der vielen Herausforderungen, die den Horizont verdunkeln. Lasst uns gemeinsam nicht lediglich Symptome bekämpfen, sondern radikale Veränderung in unserem Geist anstoßen. Lasst uns selbstbestimmt und selbstkritisch voranschreiten und nach und nach immer mehr unserer Vorurteile abbauen. Lasst uns neugierig mit anderen Menschen in Kontakt treten und mehr zuhören und mitfühlen. Lasst uns uns unseren Ängsten stellen, sie annehmen und uns trotzdem nicht von ihnen leiten lassen. Lasst uns wahre Freiheit entdecken, nicht jene, die uns Ökonomen lehren, sondern jene, die im Kopf beginnt. Lasst uns mutig zusammenstehen, um die Liebe zu verteidigen. Lasst uns das patriarchalische Denken überwinden!

One Comment

  1. ❣️ danke dir, Niklas.

    ich freu mich über diese Zeilen.
    Fühle Resonanz, Frieden mit guter Wut dabei …
    und einigen Mut,
    bei sich, dir, mir, unterschiedlichsten „uns“, „wir“, „ihr“-Varianten individuell und kollektiv einiges zu ändern.
    Mir kommt da Zuversicht.

    Auch wenn es vielleicht mit vielem, darunter auch teilweise mit Männern-Frauen-Bildern verbunden ist und damit einer der Mosaikstein des Ganzen… der allerdings glänzt, mit meinen Augen gelesen.

    Liebe Grüße mit Morgensonne
    und viva la revolution

    In Verbindung mit sich selbst und anderen.

    Vro

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